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Weihnachten… Weihnachten? Weihnachten!

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Wenn wir uns vorstellen, dass Maria, Jesus und Joseph wegen der Verfolgung des Messias‘ durch Herodes von Bethlehem aus nach Ägypten fliehen, um einmal von dort zurückzukehren ins Gelobte Land, dann ist das zwar heilsgeschichtlich bewusst konstruiert: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ (Matthäus 2, 15), zitiert Matthäus Hosea 11, 1 und stellt zwischen der kleinen heiligen Familie eine Analogie zum Volk Israel her, das vorzeiten ebenfalls aus Ägypten ins winzige gelobte Land gezogen ist, dorthin, wo Gott die Menschen, die ihm vertrauten, nun einmal haben wollte. Aber bei aller heilsgeschichtlichen Konstruktion (die ja diese „Reise“ überhaupt ist) ist es doch auch eine traurige Analogie zur Realität, dass das Gute irgendwie immer gefährdet zu sein scheint. Und wenn es sich dann doch durchsetzt, dann auf Umwegen und nur auf Zeit. Und in der Tat: Manchmal setzt sich das Gute durch und kann seine positive Wirkung in den Köpfen der Menschen entfalten. Dann wieder wird es vergessen, weil zu wenig geprüft und zu wenig davon behalten wurde (nach 1. Thessalonicher 5, 21). Und schon nimmt alle erdenkliche Bosheit überhand. Die Weimarer Republik, von ihren Kritikern verächtlich „Systemzeit“ genannt, hatte zwar Schwächen, aber waren die wirklich so groß, dass stattdessen die Nazis mit ihrer Verkehrung aller Maßstäbe, was gut und menschlich ist, aufmarschieren und sich durchsetzen mussten? Und die Menschen in Nigeria (fast hat man sie schon vergessen, die armen Mädchen, die von Boko Haram entführt und ihrer Selbstbestimmung und Bildung entzogen wurden), in Syrien, im Irak: Wissen sie noch, wie es sich anfühlt, eine gute Regierung zu haben und was sie an Gutem bewahren könnten, um sich vor dem Bösen zu schützen? Sowas wie etablierte Menschenrechte haben sie ja nie wirklich erlebt. In ihrer eigenen Heimat fürchten sie um ihr Leben. Die heutigen Herodesse heißen z.B. Assat und Islamischer Staat. Sie vertreiben ohne Erbarmen Menschen, weil sie die Freiheit fürchten, die sie selber nicht haben. Könnte nicht in jedem einzelnen dieser Flüchtenden ein Mitglied der Heiligen Familie stecken? Die Geburtsgeschichte Jesu bei Matthäus ist von Anfang an eine Geschichte, in der das göttliche Heil am menschlichen Zweifel und an der menschlichen Angst zu scheitern droht. Herodes sah den Segen, den Jesus für die Welt bringen würde, als Fluch für sich persönlich. Er sah seine Macht durch die des anderen gefährdet. Denn Herodes kannte nur eine Art von Macht: Bestimmen und Herrschen. Und seine Angst, genau diese Macht zu verlieren, hat ihn grausam gemacht und ihn „befähigt“, sich an kleinen Kindern zu vergehen und sie zu töten, um das eine, „mächtige“, Kind zu erwischen. Weihnachten hat es also nicht nur mit Verkündigungsengeln, heiliger Familie und Stallgemütlichkeit zu tun, sondern auch mit Flucht und Vertreibung, mit Angst und Machtverlust, mit Kälte und Heimatlosigkeit. Und was feiern wir an Weihnachten? Wir konzentrieren uns eher auf den kommerziellen Aspekt, den wir den schnuckeligen Seiten des Lukasevangeliums entnehmen. Wir feiern die Gelegenheit zum Schenken, zu Glitzer und Glimmer. Sterne und Engel rücken uns auf den Leib und klammern Heimatlosigkeit und Kälte aus. Grotesk vielleicht, dass ausgerechnet der gleichzeitige Verkauf von Halloween-Schreckens-Artikeln und Lebkuchen und Adventskalendern mit MHD März 2017 so etwas wie die Parallelwelten wiedergibt, in denen wir uns bewegen: im Schauer noch schon Glitzer erleben. Doch leider: Eine Wirtschaft, die nicht brummt, bedeutet neue Gefahren. Auch vor Weihnachten. Eins muss das Andere nicht ausschließen. Heißt es nicht bei Lukas: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon (Lk 16, 9)? Was wie eine Politik des Sowohl…als auch aussieht, ist eigentlich die Erkenntnis, dass es Ziele zu unterscheiden gibt und Wertigkeiten. Es ist nicht dasselbe, ob ich einen Truthahn schlachte oder einen Menschen töte, obwohl beides das Töten eines Lebewesens ist. So betrachtet ist Weihnachten das Fest der Gleichzeitigkeit im Ungleichzeitigen. Es ist das Fest, das sich nicht darum schert, ob zeitgleich gestorben, vertrieben und getötet wird. Aber es ist das Fest, das uns dazu anhält, diese Gleichzeitigkeit von Schrecken und Freude wahrzunehmen. Und denen, die im Schrecken sind, Freude zu bringen. Freilich nicht, ohne den anderen, die nicht im Schrecken sind, der eigenen Familie, die uns lieb und teuer ist, auch Freude zu bringen. Also ein Sowohl…als auch des Guten tun. Sich von der Freundlichkeit Gottes, die in der Unfreundlichkeit der Welt erschienen ist, anstecken und motivieren lassen zu eigener Freundlichkeit. Freundlichkeit liegt übrigens biblisch auf einer Linie mit Demut und Geduld (Kolosser 3, 12) oder mit Friede, FreuWeihnachten… Weihnachten? Weihnachten! 34 def aktuell / def aktuell / märz 2016 www.def-bayern.de dezember 2016 de und Treue (Galater 5, 22). Sie ist keine bloß äußerliche Form der Höflichkeit, sie geht viel tiefer und kommt von tiefer her. Denn wo es „Freund“ heißt, da ist Wesensgleichheit von Menschen gemeint. Und wer möchte nicht freundlich behandelt werden? „Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit…“ (Titus 3, 4f.). Freundlichkeit ist eine Eigenschaft Gottes, die sich auf Menschen überträgt; sie korrespondiert mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Nur so kann in der Welt das Gute, das Gott ist und für die Welt will, geschehen. Worum es mir geht: Dass wirklich Weihnachten wird bei uns. Und dass wir uns weder von zu viel Geglitzer noch von zu wenig Frieden um uns herum irritieren lassen. Denn auch das ist Weihnachten: Frieden in unfriedlicher Zeit, Glitzern im Dunkel, ein himmlisches Geschehen auf ganz und gar unhimmlischem Boden, da, wo Indifferenz und Zweifel herrschen, Meinungsverschiedenheiten und Kriege. Weihachten ist nicht real Auszeit, nicht real Anhalten von Zeit, auch wenn man das am liebsten möchte, weil es so schön sein könnte. Weihnachten ist auch der Mut, entgegen allen negativen Erfahrungen das Glück anzupacken, das jedem zusteht. Maria, Joseph und Jesus haben, auch das erzählt die Legende von der Flucht nach Ägypten, durchaus Helfershelfer auf ihrer Reise gehabt: Engel. Einer ist Joseph (bei Matthäus hat er die Rolle des fürsorgenden Familienoberhauptes) im Traum erschienen, nicht nach Bethlehem zurückzukehren, sondern sich nach Nazareth zu begeben. Abgesehen von der Parallele zu anderen Engel-Traum-Geschichten der Bibel (Abraham, Jakob…) ist das doch auch ein Hinweis, dass ein Mensch sich auf seine tief liegenden Eingebungen verlassen kann und soll und damit etwas erreicht im Leben. Weihnachten führt uns zurück auf unsere Wünsche und Träume, aber auch auf unsere Fähigkeiten zur Freundlichkeit, Demut und Geduld, auf unsere Fähigkeit zum Frieden und zum Grenzen-Überspringen. Vielleicht brauchen wir auch eine Art Flucht: Weg von den vielen viel zu frühen Versuchungen der Vorweihnachtszeit, weg auch von der negativen Einflüsterung, dass es doch ganz egal ist, welcher Religion man folgt, sie sind doch alle gleich (schlecht). Ich will Herodes nicht verharmlosen, auch nicht die Nachfahren dieses Königs, die Menschen heutzutage in die Flucht schlagen. Aber damit wir jene überhaupt ernstnehmen und an uns heranlassen können, müssen wir wahrscheinlich erst mal unseren eigenen furchterregenden inneren Königen entfliehen. Nur wer seine eigenen inneren Sperren und eingefahrenen Vorstellungen wahrnimmt und löst, kann Jesus Christus, den Weihnachtlichen, an sich heranlassen und anderen weihnachtlich werden.
Pfarrerin Susanna Arnold-Geissendörfer, Aschaffenburg

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