Uwe Timm: Ikarien
Buchempfehlung von Marianne Jauernig-Revier, Schweinfurt
Schon immer waren Menschen auf der Suche nach einer besseren Welt. Gerhard Hauptmann, sein Bruder, Alfred Ploetz - ein Medizinstudent - und der Ökonom Karl Wagner reisen zu ihrem Sehnsuchtsort nach Amerika - zu der Kommune Ikarien in Iowa. Gleichheit und Brüderlichkeit sollen dort gelebt werden. Die Idee dieses Zusammenlebens geht auf den französischen Revolutionär Cabet zurück. Doch die deutschen Besucher sind enttäuscht, denn auch dort stoßen sie auf Egoismus und Selbstgerechtigkeit.
Nur der junge Mediziner Alfred Ploetz lässt nicht von seiner Idee, Menschen genetisch zu verbessern. In skandinavischen Ländern wird bereits bei Verdacht einer Erberkrankung sterilisiert, so träumt Ploetz von einer Welt ohne diese Krankheiten. Er forscht weiter und wird so einer der Begründer der Eugenik, der Rassentheorie und Rassenhygiene. Als die Nazis an die Macht kommen, fördern sie seine Arbeit und bedienen sich seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse. Doch dieser Arzt ist kein Monster, kein Frankenstein, denn das fatale Gedankengut existiert bereits, sonst hätte man ihn nicht für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Es ist sein Ehrgeiz, der ihm den Blick auf die Pläne seiner politischen Förderer verstellt.
Klug präsentiert uns der Autor Uwe Timm dieses Thema: Er lässt nach Kriegsende einen jungen US-Soldaten mit deutschen Wurzeln die Geschichte und Forschung des Rassenhygienikers erkunden. Dafür sucht dieser Ploetz’ Freund Karl Wagner auf, der die NS-Zeit im Keller eines Antiquariats überlebt hat. In den Gesprächen erhält der Amerikaner Informationen über die Irrwege des Forschers, der die ideologische Richtung seiner Regierung nicht sehen wollte.
Der Blick des jungen Soldaten auf Deutschland, auf Freundschaften und Liebschaften, bringt Leichtigkeit in das Buch. Seine Schilderung der Trümmerlandschaften und vom zielgerichteten Wiederaufbau der zerstörten Städte bietet eine faszinierende Zeitreise durch deutsche Geschichte. Damit ist das spannend erzählte Buch nicht nur für Leser interessant, die die Nachkriegszeit erlebten, sondern auch für die nachfolgenden Generationen. Glaubwürdig wird berichtet, wie eine politische Ideologie Forschungsehrgeiz missbrauchen und in Böses wandeln kann.
Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-05048-6, 24 €
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