Jagd nach Stoff. Tausende alte Fußballtrikots verstauben in deutschen Schränken. Dabei erzielen sie gerade irre Preise
Den folgenden Artikel von Henrik Rampe, erschienen in der ZEIT (Nr. 54) vom 19.12.2024, hat Hannelore Täufer, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Haushaltsführungskräfte – Förderkreis in Bayern (AEH) gelesen und kommentiert:
„In einem Lagerraum in Ludwigshafen liegen an einem Montag im November neun Säcke mit Klamotten, ungewaschen, zerknittert und müffelnd. Davor steht Niklas Kille, 29, bereit, sich durch die T-Shirts, Hoodies und Camouflage-Jacken zu wühlen. ‚Eine Schatzsuche‘, nennt Kille das. Die Klamotten stammen größtenteils aus Altkleiderspenden. Sie werden von Sortierbetrieben gesichtet und finden dann über Zwischenhändler den Weg ins Lager von Double Double. So heißt der Onlineshop für Vintage-Mode, den Kille betreibt. Ein Kilogramm Textilware kostet ihn 20 Euro. Die wertvollsten Teile kann er für deutlich mehr Geld weiterverkaufen.
Etwa ein Drittel der Lieferung spendet er, weil die Klamotten zu viele Gebrauchsspuren haben. Wenn Kille Glück hat, dann findet er in den Säcken ein altes Fußballtrikot. Denn Retro-Trikots sind der Stoff, den gerade alle wollen. Wenig ist gerade so gefragt wie Trikots aus den Neunziger- und frühen Nullerjahren. ‚Das kann auch ein Trainingsshirt eines italienischen Zweitligisten sein‘, sagt Kille. Sobald es lässig weit geschnitten sei und nach Trikot aussehe, werde es gekauft. 200 Retro-Shirts hat der Vintage-Händler im Sortiment. Für die gefragtesten kann Kille gut 100 Euro verlangen, sie sind damit teurer als die neuesten Trikots der Bundesligisten.
Fußballtrikots polarisieren. Für Fans sind sie der ganze Stolz und Ausdruck der Verbundenheit mit dem Herzensverein. Für alle anderen sind sie überteuerte Kunstfasern, billig gefertigt in Südostasien. Da alle Clubs zu Beginn einer jeden Saison neue Kollektionen präsentieren, verschwanden alte Trikots in der Vergangenheit oft in der hintersten Ecke des Kleiderschranks.
Das hat sich geändert. Die Neunzigerjahre sind zurück. Alte Fußballtrikots sind begehrte Fashionteile. Um sie zu tragen, muss man nicht die letzten drei Auswärtssiege des Vereins auswendig aufsagen können. Vergangenes Jahr stolzierte Reality-TV-Star Kim Kardashian mit einem Retro-Trikot von AS Rom durch Los Angeles. Der US-Rapper Travis Scott zeigte sich in einer Trainingsjacke von Borussia Mönchengladbach aus dem Jahr 2009. Herbert Grönemeyer verkauft Merchandise im Trikotlook, und in den Boutiquen von London, Brüssel und Lissabon hängen alte Sportshirts.
Aus Fußballnostalgie ist ein lukratives Business geworden. Der Wert der alten Trikots steigt auch deshalb, weil sie heute nicht mehr produziert werden. Für die Händler ist das Glück und Herausforderung zugleich.
Kille kippt den ersten Klamottensack auf den Boden vor sich, dann den zweiten, den dritten. Jogginghosen und Tommy-Hilfiger-Pullover mit kaputtem Reißverschluss rutschen heraus. Bislang ist noch kein Trikot dabei. ‚Es wird immer schwieriger, an Trikots zukommen‘, sagt Kille. Als Student ist er noch losgezogen und hat auf Flohmärkten nach günstigen Trikots Ausschau gehalten. ‚Diese Zeiten sind vorbei‘, sagt Kille. Wer ein altes Trikot besitzt, wisse um dessen Wert und verkaufe es teuer weiter oder gebe es gar nicht erst her. Einmal erfuhr er durch Zufall, dass ein Sportgeschäft in Nordrhein-Westfalen dichtmachte und alle Restbestände loswerden wollte. Kille fuhr mit dem Transporter hin und packte ein Dutzend Trikots ein, ungetragen mit originalem Etikett. Ein seltener Glücksgriff.
Kille fährt mittlerweile regelmäßig ins Ausland, wo in Hafenstädten wie Neapel und Rotterdam Großhändler in belebten Einkaufsstraßen Vintage-Klamotten anbieten. Mit Verhandlungsgeschick und Kontakten öffnen sich hier Türen zu sonst verschlossenen Lagerräumen, in denen auch Trikots herumliegen. ‚Handpicking‘ heißt das in der Branche, wenn jedes Kleidungsstück einzeln ausgesucht wird.
Im Herbst war Kille in den Niederlanden unterwegs. Er zeigt Fotos von seinem Besuch. Ein karger Raum, gleißendes Neonlicht, Kleidersäcke stapeln sich bis zur Decke, Textilchaos. Der Haken: ‚Auch hier gibt es immer weniger Trikots, und oft sind sie gefälscht‘, sagt er. Manchmal sind Kopien offensichtlich, etwa wenn das Adidas-Trikot zwei Streifen hat oder nach einmal Waschen drei Größen kleiner wird. Viele Plagiate sind aber so gut gemacht, dass man schon sehr genaue nach unsauberen Stickereien und Nähten suchen muss.
Classic Football Shirts ist der größte Anbieter für Retro-Shirts. Über einen Onlineshop verkauft das Unternehmen mit Sitz in Manchester täglich 3.000 Trikots, mehr als eine halbe Million liegen im Lager. Woher kommt der riesige Fundus? Ein Anruf bei Doug Bierton, dem Gründer, seit knapp 20 Jahren im Geschäft. ‚Tja, wir haben unsere Quellen, Ankäufer auf der ganzen Welt, ein großes Netzwerk.‘ Woher genau? Schweigen am Ende der Leitung. Bierton wirkt jetzt wie ein Schatzsucher, der nicht verrät, wo er überall schon gegraben hat.
Als Marktführer gibt Classic Football Shirts die Preise vor. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 200 Mitarbeiter, darunter auch Analysten, die Verkaufspreise der Trikots festsetzen. Ein Irrglaube dabei: Wenn eine Mannschaft Real Madrid oder Bayern München heißt und alle Titel abräumt, sind ihre Trikots auch am wertvollsten. Oft sind es kleine Details, die den Preis nach oben treiben, sagt Bierton: ‚Ein Biersponsor auf der Brust ist Kult, so was lieben die Leute.‘
Beispielsweise beim Gladbach-Trikot, Saison 1995/96, schneeweiß mit dunklem Stehkragen. Sponsor: Diebels, eine Brauerei am Niederrhein. Im Fanshop des Bundesligisten kostete das Trikot Mitte der Neunzigerjahre etwa 50 Mark. Bei Classic Football Shirts gibt es das Trikot heute für 175 Pfund, umgerechnet mehr als 210 Euro. Auf der Auktionsplattform eBay wurde das Trikot in den vergangenen drei Jahren für durchschnittlich 83 Euro verkauft, wie eine Analyse des Unternehmens zeigt.
Warum sind die Leute bereit, so viel Geld für alte Sportshirts auszugeben?
Diana Weis ist Professorin für Modejournalismus an der BSP Business School in Berlin. Auf den Straßen der Hauptstadt hat sie Leute gesehen, die Trikots unter dem Jackett getragen oder mit High Heels kombiniert haben. ‚Je stärker der modische Bruch zur Sportwelt ist, desto besser kommt ein Trikot als Fashionpiece zu Geltung‘, sagt Weis. Die Modeexpertin erinnert das Phänomen an Bandshirts, die vor etwa zehn Jahren überall zu sehen waren. Oft waren die Träger zu jung, um die Bands auf ihren Shirts auch nur ein einziges Mal bei Live-Auftritten gesehen zu haben. ‚So ein Shirt verkörpert ein Stück Lebensgefühl, losgelöst von dem einzelnen Bandnamen oder der Mannschaft‘, sagt Weis.
Der Hype um alte Fußballtrikots wird auch durch TikTok befeuert, wo unter dem Hashtag ‘Bloke Core‘ Tausende User ihre Trikot-Outfits von der Community bewerten lassen. Männer sind auf den Videos fast genauso häufig zu sehen wie Frauen. Eine Beobachtung, die sich deckt mit der Kundenkartei von Kille.
Noch einen ungeöffneten Klamottensack hält der Händler nun in seiner Hand. Die letzte Chance auf den Hauptgewinn. Als er den Sack ausschüttet, sticht es hervor: ein Trikot. Langarm, textmarkergelb, dazu wilde Linienmuster in Orange und Pink. Kein Vereinswappen und auch kein aufgedruckter Spielername. Eine kurze Internetrecherche ergibt, dass ein Trikot mit diesem Design vom US-Nationaltorwart Tony Meola getragen wurde.
Kille misst auf den Zentimeter genau Brustweite und Länge aus, wäscht das Trikot, bearbeitet es mit Fusselrasierer und Fleckenspray. Anschließend macht er ein Foto von vorne und eines von hinten. Dann stellt er es im Onlineshop ein. Zustand: gut, Preis 89 Euro. Nach anderthalb Stunden ist es verkauft.
Ihre persönlichen Anmerkungen:
Liebe Leserinnen, liebe Leser, da hat sich für mich eine völlig neue Welt gezeigt.
Einmal die Tatsache des Hypes um die Vintage-Trikots, der genau betrachtet gar kein Hype ist. Immerhin gibt es das „führende“ Unternehmen bereits 20 Jahre und ist offensichtlich ein Erfolgsmodell.
Zum Zweiten die Information, dass bereits hier in Kleiderbergen gesucht wird. Wir kennen ja mehr die Bilder aus Afrika oder Südamerika, wo Kleiderballen unbesehen gekauft werden. Die Hoffnung daraus noch Geld zu machen, ist für beide Situationen gleich.
Der Artikel beantwortet nur im Ansatz die Frage, wie viel Zeit und Geld Kille einsetzt um „das“ Trikot zu ergattern. Und was passiert mit den „übrigen Klamotten“? Ist das Killes einzige Einkommensquelle, wenn ja: Kann das mit Sozialversicherungspflicht, Steuern zahlen, Lebenshaltungskosten überhaupt gehen? Von Nachhaltigkeit bei Fahrten zu „Märkten“ im Ausland will ich gar nicht reden.
Am wenigsten hat mich die Aussage von Frau Weis überrascht. Trends gab es schon immer – und Menschen haben sich durch das „im Trend sein“ von der Masse abheben wollen, egal - koste es, was es wolle.
Kontakt
Nehmen Sie Kontakt mit uns auf. Wir sind für Sie da!
Deutscher Evangelischer Frauenbund Landesverband Bayern e. V.
Geschäftsstelle
Kufsteiner Platz 1
81679 München
Tel.: 089 /98 105 788
Fax: 089 /98 105 789
Bankverbindung: Evangelische Bank
IBAN: DE19 5206 0410 0003 5080 56
BIC: GENODEF1EK1
Hausbüro (Vermietungen)
Termin vereinbaren: Tel. 0176 / 577 67 668
Bürozeiten:
Mo,Mitt.,Di: | 8.00 bis 16.00 Uhr |
Do: | 8.00 bis 12.00 Uhr |
Fr. | 8.00 bis 13.00 Uhr |
Geschäftsführende Vorständin:
Katharina Geiger
katharina.geiger(at)def-bayern.de
Geschäftsstelle:
Büroleiterin Maren Puls
info(at)def-bayern.de
Hausbüro (Vermietungen)
Hausmutter Sigrid Fernando
hausbuero(at)def-bayern.de
Pflichtangaben
Seit 2009 ist der Landesverband nach dem Qualitätsmanagementsystem QVB zertifiziert. http://www.procum-cert.de/