Die Dienstbotenfrage
Ärger mit den Dienstboten gehörte zum Alltag, war Thema der Damengespräche, angeblich oft das einzige. Ein preußischer Regierungsbeamter schrieb 1789 in einem Bericht: „Noch nie war vielleicht eine Zeit, wo die Klagen über Gesinde häufiger als jetzt gehöret wurden; man mag Herrschaften sprechen, aus welchen Klassen man will, so hört man, dass sie sich über Untreue, Widersetzlichkeit, Grobheit und Faulheit des Gesindes beschweren, und selbst Herrschaften, deren leutseeliger Charakter allgemein anerkannt und verehrt wird, stimmen hiermit überein.“ Er forderte harte, abschreckende Strafen, da sonst die „Herren und Frauen gar bald sich ganz selbst bedienen müssen.“ Doch auch Herrschaften bedienten sich wenig schöner Praktiken. So kam es vor, dass schlechtem Personal, das man loswerden wollte, bewusst lobende Zeugnisse ausgestellt wurden. Sollte sich doch der nächste Dienstherr über den Flegel ärgern! Auch warb man sich durch überhöhte Lohnangebote gutes Personal gegenseitig ab. Doch im Allgemeinen wurde die dienende Klasse auf die gottgewollte Vorsehung verwiesen, wie es etwa der Theologe Johann Caspar Lavater in seinem ‚Sittenbüchlein‘ tat.
In der Literatur findet sich ein breites Spektrum von Ergebenheit, über echte Anhänglichkeit für die Herrschaft bis zur Vasallentreue etwa in Lessings ‚Minna von Barnhelm‘. Nachsicht gegenüber der Dienerschaft - etwa beim alltäglichen kleinen Diebstahl - empfahl Freiherr Adolph von Knigge in seinem ‚Umgang mit Menschen‘. In seiner umfangreichen Oeconomischen Encyklopädie stellt Johann Georg Krüntiz kritisch fest: „Viele Herrschaften achten ihr Gesinde gar nicht. Sie halten es nicht viel besser als das liederlichste Bettelvolk. ... Sie sind grausam wider sie und fordern mehr Arbeit von ihnen, als Menschen leisten können und als sie vermöge ihres Vertrages zu leisten schuldig sind.“ Daher sei es verständlich, dass die Bedienten ihre Herrschaft nicht liebten, ihnen nicht treu seien und Abscheu die Regel sei. Die Herrschaft befahl und das Gesinde hatte zu gehorchen, sollte aber selbst „stets ehrerbietig gegen ihre Herrschaft und höflich gegen jedermann sein und sich eines ruhigen, anständigen Benehmens befleißigen“, verlangten die Gesindeordnungen. Erst mit der Neufassung des Bürgerlichen Gesetzbuches um 1900 wurden manche Bestimmungen zugunsten des Dienstpersonals geändert. So wurden die Schlafstellen auf den überhitzten und ungelüfteten Hängeböden neben der Küche und auch die Unterbringung in Durchgangszimmern untersagt. Im Gründungsjahr des DEF 1899 erschien von Theodor Fontane der Roman ‚Der Stechlin‘, in dem das Dienstmädchen Hedwig ihre Unterkunft schildert: „Aber ‚ne Badestube ist nie ‚ne Badestube. Wenigsten hier nicht. Eine Badestube is ‚ne Rumpelkammer, wo man alles unterbringt, alles wofür man sonst keinen Platz hat. Und dazu gehört auch ein Dienstmädchen. Meine eiserne Bettstelle, die abends aufgeklappt wurde, stand immer neben der Badewanne, drin alle alten Bier- und Weinflaschen lagen. Und nun drippten [tropften] die Neigen aus.“ Die Reichshauptstadt war ein besonders schwieriges Pflaster. Schon im März 1850 hatte die engagierte, später berühmte Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters in ihrer ersten Frauenzeitung auf die besonders schwierige Lage der Dienstmädchen in Berlin hingewiesen. Die Zeitung wurde bald danach verbotenen, da Frauen in der Reaktionszeit keine Unternehmerinnen mehr sein durften. „Es ist in Berlin ein eingefleischtes Vorurteil der Dienstherrschaften, von der Aristokratie bis zum Bürgerstande aus dem Volke“, schrieb Louise Otto-Peters, „kein Mädchen, oder doch selten, in Dienst zu nehmen, welches aus Berlin ist, und diejenigen Mädchen, die gezwungen sind, sich durch ihrer Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt zu beschaffen, sind in einer schlimmen Lage, und gelingt es einem Mädchen aus Berlin, in Berlin seinen Dienst zu finden, so erhält es einen viel geringeren Lohn als ein Mädchen von auswärts, der wohl kaum hinreichen mag, sich notdürftig zu kleiden. ... Fragen wir nun, welchen Lohn erhält ein Dienstmädchen in Berlin? Ein solches Mädchen, das vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht hinein für ihre Herrschaft arbeitet, das keinen Feierabend kennt, wo es für sich arbeiten könnte, dem oftmals auch der Sonntag nicht gegönnt ist, erhält jährlich als Lohn für ihre Dienste 12 Thaler – und dennoch sind die Dienstmädchen in Berlin die glücklichsten Arbeiterinnen, denn sie erhalten neben ihrem Lohn die Beköstigung bei der Herrschaft, wenn auch oft schlecht und nicht zum Sattwerden.“
Ganz wirkungslos blieben solche Schilderungen nicht, und lokal geschah durchaus etwas zur Besserung der Zustände. So auch in Berlin. Seit 1861 versuchte man hier die jungen Mädchen in Jungfrauen-Vereinen zu sammeln. Es wurden Herbergen gegründet und Versammlungsorte geschaff en, vor allem für die Abende und die Sonntagnachmittage, an denen sie „frohe, edle Geselligkeit, Nahrung für Herz und Gemüt und sittlichen Halt“ fi nden konnten. „Es sind in bewahrender Fürsorge durch religiös-sittliche Beeinfl ussung, vornehmlich durch den Verband der Evangelischen Jungfrauen-Vereine, Einrichtungen getroff en worden, die von bleibendem Wert für die Jugend unseres Volkes sind.“ Allmählich wurde aufgrund privater, kirchlicher, städtischer und staatlicher Initiativen mancher Reformvorschlag umgesetzt.
„Es ist also notwendig, und zwar nicht nur um der Herrschaft aus der Dienstbotennot, dem Dienstboten aus der Herrschaftsnot zu helfen, sondern um zur Gesundung des Familienlebens beizutragen, dass die beiderseitigen Ansprüche anerkannt und die bestehenden Mißstände beseitigt werden.“ Aus dieser Erkenntnis entstand die Dienstbotenbewegung, in der sich auch der DEF engagierte und in dem, eingeladen von den Christlichen Gewerkschaften, Institutionen und Vereine, aber auch Vertreterinnen der Dienstmädchen- und der Hausfrauenvereine mitwirkten. „Von der Vorsitzenden des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes ist auf Wunsch der Konferenz in Berlin am 23.10. [19] 07 ein Normalstatut für die Evangelischen Dienstboten-Vereine ausgearbeitet worden.“ An vielen Orten richtete der DEF – oft zusammen mit anderen Frauenvereinen – einen Stellennachweis ein und initiierte eine Kommission für die Dienstbotenfrage, deren Leitung Fräulein Helene von Fabeck aus Weimar übernahm. Dort hatte der DEF schon früh eine Handelsschule, in der auch hauswirtschaftliche Fächer unterrichtet wurden, ins Leben gerufen und einen Stellen-Nachweis für Dienstboten. „100 off enen Stellen zu 60 Angeboten, davon 40 Vermittlungen“, heißt es 1908 im Bericht zur Dienstbotenfrage.
Warum aber gingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die schulentlassenen Mädchen lieber in die Fabrik oder verdingten sich als Ladnerin? Es war nicht der Lohn, sondern die „unbeschränkte Freiheit“ nach der Arbeit und diese Freiheit „hängt nicht von dem Willen und oft von der Willkür eines Einzelnen ab,“ konstatiert Helene von Fabeck. So bemühte man sich um feste Regelungen von Arbeits- und Freizeit auch im Haushalt und setzte die tägliche Arbeitsbereitschaft auf in der Regel 12 Stunden fest und bei Überstunden eine Vergütung, ferner einen freien Nachmittag in der Woche und mindestens jeden zweiten Sonntagnachmittag frei und die Möglichkeit, den Gottesdienst zu besuchen. Auch Urlaubsansprüche wurden im Arbeitsvertrag festgehalten.
Aus den Reihen der eigenen Mitglieder kam nicht nur Zustimmung für dies Bemühen um verbesserte Lebensund Arbeitsbedingungen für die Dienstmädchen. Da war noch sehr viel „unsoziales Denken“ bei den Hausfrauen, bedauerte Paula Mueller. Es fehle oft ein „Sozialismus des Herzens“.
Gute Erfahrungen machte der DEF bei der Einübung hauswirtschaftlicher Kenntnisse in seinen Heimen für junge Mädchen. Hier hatten sie sich freiwillig verpfl ichtet, bei der anfallenden Hausarbeit mit zuzupacken, lernten Ordnung und Reinlichkeit, aber auch Sinn für einen schön gedeckten Tisch zu entwickeln. In einer einjährigen Grundausbildung für „entlassene Volksschülerinnen“ bildete man in Berlin-Havelberg junge Mädchen in Haus- und Gartenarbeit aus. Der Bericht darüber an die Bundeszentrale in Hannover „ hebt besonders die günstige Wirkung hervor, die das Leben in dem ländlichen Betrieb, die Weckung der Liebe zur Natur und zur heimatlichen Scholle auf die Großstadtkinder ausübt“. Mit diesem Haus steht der Ortsverband Berlin bis heute in Kontakt, obwohl es längst in andere Hände überging.
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