Deutscher Frauenrat: Die Unvollendete Demokratie
Erklärung zu 100 Jahren Frauenwahlrecht
DEF-Landesvorsitzende Inge Gehlert: Der DEF Landesverband Bayern unterstützt diese Erklärung des Deutschen Frauenrates. Wir haben uns der Klage zu Parité in den Parlamenten angeschlossen, unterstützen den Equal Pay Day und bemühen uns Frauen zu stärken, dass sie ihre Rechte einfordern und die Politik endlich Maßnahmen ergreift, dass die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung endlich Wirklichkeit wird.
Am 12. November 1918 wurde mit der Verkündung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts der Grundstein für die parlamentarische Demokratie in Deutschland gelegt. Wir feiern dieses Datum als Geburtsstunde des Frauenwahlrechts . Wir feiern den historischen Erfolg unserer politischen Vormütter mit Dankbarkeit und Respekt. Unbeirrt und mutig haben sie für dieses Recht in internationalen Bündnissen gekämpft. Dafür ehren wir sie.
100 Jahre später müssen wir jedoch eine ernüchternde Bilanz ziehen:
In Deutschland im Jahr 2018 verdienen Frauen durchschnittlich 20 Prozent weniger als Männer, machen Frauen rund 50 Prozent mehr unbezahlte Arbeit in Haushalt und Familie als Männer, beziehen Frauen durchschnittlich eine Rente, die knapp 60 Prozent einer durchschnittlichen Männerrente beträgt, sitzen mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen im Bundestag, kommen viele Unternehmensvorständegänzlich ohne Frauen aus, wird fast jede zweite Frau im Laufe ihres Lebens Opfer physischer und psychischer Gewalt, wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner getötet.
Wir erinnern: In Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz heißt es: „Männer und sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Wir stellen fest: die fortwährende strukturelle Diskriminierung von Frauen verstößt gegen unsere Verfassung. Der Staat kommt seiner Verpflichtung nicht nach. Mit Freiwilligkeit und Selbstverpflichtungen kommen wir nicht weiter. Wir brauchen wirkungsvollere Gesetze für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung. Sanktionen bei Nichterfüllung dürfen kein Tabu sein.
Wir fordern: gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, Parität in Parlamenten und Politik, die Anerkennung und Aufwertung von Sorgearbeit sowie eine Umverteilung unbezahlter Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern,die Ausweitung der Quote in der Privatwirtschaft und auf die Bereiche Medien, Kultur, Medizin und Wissenschaft, Rentengerechtigkeit, die zügige und vorbehaltlose Umsetzung der Europarat-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention).
Wir erklären: Ohne Geschlechtergerechtigkeit bleibt die Demokratie unvollendet. Gleichberechtigung aller Geschlechter, soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit und Selbstbestimmung –das sind die Grund-voraussetzungen einer freiheitlichen Gesellschaft. Sie müssen erstritten und sie müssen immer wieder beherzt verteidigt werden. Gerade auch heute. Denn antifeministische und frauenfeindliche Kräfte gewinnen im politischen und öffentlichen Raum an Einfluss. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, antidemokratisches und rechtsextremes Denken haben in der Mitte der Gesellschaft Fuß gefasst. Dagegen müssen wir aufstehen. Denn Frauenrechte und Demokratie sind unteilbar.
Der Deutsche Frauenrat ist die politische Interessenvertretung von rund 60 bundesweit aktiven Frauenorganisationen und damit die größte Frauenlobby Deutschlands.
Berlin, 9. November 2018
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